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Campino: „In den besten Momenten kann Disco sexy sein“

Von    |   13. November 2008   |   1 Kommentar

Nach dem „verunglückten“ letzten Studioalbum sind die Toten Hosen für ihr neues Werk weniger Kompromisse eingegangen. Sänger Campino spricht im Interview über Discos und seine Zeit als Lernender.

In der neuen Single singst du: „Alles steht unter Strom, vom ersten bis zum letzten Ton.“ Kann man diese Textzeile als Motto des Albums verstehen?
Campino: Für mich war das Motto des Albums immer Energie. Nach dem für uns schönen Unplugged-Erlebnis und nach der etwas verunglückten Studioplatte „Zurück zum Glück“, auf der wir sehr viele Kompromisse eingegangen sind und ein paar Lückenfüller zu viel darauf hatten, wollte ich, dass wir in Bezug auf die Auswahl der Lieder wieder strenger mit uns werden. Und dass wir wieder zu einer Energie zurückfinden, die uns sehr lange ausgemacht hat. Wir sollten nicht irgendetwas vorgeben zu sein, was wir gar nicht sind.

Der Titel des Albums ist ziemlich irreführend: „In aller Stille“.
Aber er passt zu unserer „Machmallauter-Tour“. Und die Leute merken ja beim ersten Hördurchlauf, dass genau das Gegenteil auf das Album zutrifft.

Also ist es eine bewusste Provokation?
Wir wollten dieses Mal einfach nicht so grossschnautzig daher kommen. Die Alternative zum jetzigen Titel wäre gewesen: „Am Anfang war der Lärm.“ Und da steckt ein gewisses Pathos drin. Damit spielen wir eigentlich immer gerne rum, aber dieses Mal wollten wir das nicht. Irgendwie war es angebracht, bescheidener aufzutreten.

Hängt das mit dem Alter zusammen?
Das wäre ein wenig zu weit hergeholt. Alles, was man neu herausbringt, hat etwas mit einer Entwicklung zu tun. Ich würde mein Alter auch immer mitnehmen und nie versuchen, das Reifen, das Älterwerden vor der Haustüre zu lassen. Das kann nicht gut gehen. Man wird beispielsweise Nick Cave nie nach dem Alter fragen oder ob er daran denkt, aufzuhören. Bei Nick Cave rechnet man immer damit, dass er bald wieder einen richtigen Knaller bringt.

Auf dem Album stechen zwei Songs besonders heraus. Der eine ist „Disco“, mit seinem für euch ungewohnten Beat.
Der kam aus Spass zustande. Discomusik hat ja auch gewisse Parallelen zu Punkrock. In beiden Metiers wird nicht besonders viel Wert auf Soli gelegt. Und man bezieht eine gewisse Kraft aus diesen nicht selten simpel aufgebauten Stilen. Ich habe ein total ambivalentes Verhältnis zu Discos. Ich geh da immer gerne hin. Und wenn man mal bei Sven Väth war und acht Stunden durchgetanzt hat, dann geht man ähnlich geschafft nach Hause, wie nach einem Rockkonzert.

Du bist aber auch einer, der dort hingeht um zu tanzen? Im Song erwähnst du ja auch die „Rumsteher“.
Ich brauch zwei, drei Drinks und die Musik muss auch gut sein – dann tanze ich. In den besten Momenten kann Disco sexy sein. In den schlechtesten ist sie nur ekelig. Zwischen diesen Polen springt man mit seiner Wahrnehmung hin und her.

Der zweite Song, der auffällt, ist „Auflösen“. Wem gehört die weibliche Stimme?
Das ist die Schauspielerin Birgit Minichmayr. Ein absoluter Star in Österreich, die auch oft in Zürich und in Berlin Theater spielt. Ihre Leidenschaft ist die Bühne und manchmal dreht sie auch einen Film. Mit ihr zusammen habe ich in der Dreigroschenoper gespielt. Wir haben viel zusammen geprobt und Lieder gesungen. Und als ich sie gehört habe, da wusste ich, dass das die Stimme ist, auf die ich so lange gewartet habe. Ich wollte schon immer mal ein Duett aufnehmen. Aber mir fehlte die richtige Frau dafür. Als ich Birgit getroffen habe, wusste ich: Jetzt oder nie.

Sie kommt eher aus der Schauspiel-Ecke, nicht aus der Musikszene?
Ja, aber sie hat eine tolle Stimme. Sie ist Schauspielerin aus Leidenschaft, sie wird nie Sängerin werden. Das macht sie nur nebenbei. Birgit ist wahnsinnig, die spielt fünf Tage in der Woche Theater. Ein Maniac, ein Workaholic.

Brauchst du solche Engagements wie jenes in der Dreigroschenoper oder wie die Hauptrolle im Film „Palermo Shooting“ von Wim Wenders als Ausgleich zum Beruf als Sänger?
Ich mache solche Ausflüge immer als Lernender und denke, dass dieses grosse Feld, Sprache, Satzbau und Timing, auf das ich dort treffe, auch für mich als Livemusiker von Interesse ist. Als Sänger muss ich vor Tausenden von Leuten Ansagen machen auf der Bühne. Ich bin überzeugt, dass ich aus solchen Projekten auch immer etwas mitnehme, was ich für die Toten Hosen brauchen kann. Andere Leute besuchen Seminare, um sich weiterzuentwickeln.

Die Toten Hosen – In aller Stille (erscheint am 14.11.2008)

Die Toten Hosen live: 01.12.2008 im Hallenstadion Zürich (AUSVERKAUFT)

https://edpillsdenmark.dk

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